Erste Klasse

DruckversionInhaltsübersicht

lit. a Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis

Art. 219 SchKG H. Rangordnung der Gläubiger
4[…]
Erste Klasse
a. Die Forderungen von Arbeitnehmern aus dem Arbeitsverhältnis, die nicht früher als sechs Monate vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind, höchstens jedoch bis zum Betrag des gemäss obligatorischer Unfallversicherung maximal versicherten Jahresverdienstes. 

Gesetzesänderungen/Übergangsrecht
Per 1. Januar 2005 ist eine Änderung in Kraft getreten. AS 2004 4031 Die Revision betraf einzig das Arbeitnehmerprivileg, indem für die Sechsmonatsfrist alternativ zur Entstehung an die Fälligkeit der Forderung angeknüpft wird. – Verweis: zum Übergangsrecht vgl. zu Allgemeines Zur Rechtslage vor dem 1. Januar 2005 vgl. VerGer SG AVI 2008 57 E. 4.4.

Per 1. Dezember 2010 ist eine Änderung in Kraft getreten. AS 2010 4922 Die Erstklassforderungen der Arbeitnehmer wurden in drei Buchstaben aufgeteilt (lit. a, abis und ater). Zudem wurden die Forderungen gemäss lit. a betragsmässig begrenzt. AS 2010 4921

Rechtfertigung des Privilegs

Abhängigkeit des Arbeitnehmers: Das Lohnprivileg bezweckt, aus sozialpolitischen und humanitären Gründen die wirtschaftlich und persönlich vom Arbeitgeber abhängigen Arbeitnehmer wenigstens in einem zeitlich begrenzten Rahmen gegenüber anderen Gläubigern zu bevorzugen. BGer 5C.83/2005 E. 3.2. BGer 5P.341/1999 E. 3c/bb (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 2c) KGer NE CC.2005.44 E. 2.b. Die Bevorzugung wird dann als gerechtfertigt erachtet, wenn Personen wegen ihrer schwachen sozialen Stellung und der wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht in der Lage sind, ihren Lohnanspruch aus dem Arbeitsvertrag rechtzeitig und ungehindert durchzusetzen. BGer 5C.266/2004 E. 1.1., E. 1.1. BGer 5P.341/1999 E. 3c/bb (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 2a, E. 2c, E. 3a) KGer SZ ZK 2006 74 E. 4.c/bb KGer NE CC.2005.44 E. 2.b. Insbesondere weil er vorleistungspflichtig ist und für den von ihm geschaffenen Mehrwert erst im Nachhinein bezahlt wird, läuft der Arbeitnehmer Gefahr, im Konkurs des Arbeitgebers seinen Lohn zu verlieren, dessen er zur Bestreitung der laufenden Bedürfnisse bedarf. BBl 1991 III 1, 129 BBl 2003 6369 ff.. BGer 5C.266/2004 E. 1.1.

Erhöhtes Schutzbedürfnis: Voraussetzung ist somit ein erhöhtes Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers, das sich aus der ausgeprägten Abhängigkeit vom Arbeitgeber und daraus ergibt, dass jener angesichts seiner Unterordnung auch bei gefährdeter Finanzlage des Unternehmens notgedrungen nicht anders disponieren BGer 5C.266/2004 E. 1.1. BGer 5P.341/1999 E. 3c/bb (beide mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 2a, E. 2c, E. 3a) geschweige denn zur Behebung dieser Gefährdung auf den Geschäftsgang und die Firmenpolitik entscheidenden Einfluss nehmen kann KGer SZ ZK 2006 74 E. 4.c/bb (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 3a)

Arbeitsrechtliches Subordinationsverhältnis

Arbeitsverhältnis: Arbeitsverhältnis ist gemäss dem deutschen und italienischen Gesetzestext grundsätzlich insbesondere der Einzelarbeitsvertrag. KGer SZ ZK 2006 74 E. 4.c/bb

Kein Konkursprivileg für Berater und Sanierer: Berater und Sanierer (des Schuldners) steht kein Konkursprivileg zu.  OGer ZH LB070108 E. 4.c.

Arbeitsvertrag und Subordinationsverhältnis: Der Arbeitsvertrag und die mit der Stellung des Arbeitnehmers notwendigerweise verbundene Abhängigkeit und Unterordnung begründen das Konkursprivileg des Arbeitnehmers im Konkurs des Arbeitgebers. BGer 5C.266/2004 E. 1.1. Das Arbeitnehmerprivileg kann nicht einfach auf alle formell unter den Begriff des Arbeitnehmers fallenden Personen ausgedehnt werden. BGer 5A_802/2008 E. 3.1. Eine Forderung ist gemäss lit. a nur dann privilegiert, wenn zwischen dem Gläubiger als Arbeitnehmer und dem Schuldner als Arbeitgeber ein arbeitsrechtliches Subordinationsverhältnis besteht. BGer 5A_461/2009 E. 2.1. BGer 5A_802/2008 E. 3.1. Es kommt entscheidend darauf an, ob ein tatsächliches bzw. effektives Subordinationsverhältnis besteht. BGer 5C.83/2005 E. 3.2. (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 2c) KGer SZ ZK 2006 74 E. 4.c/cc KGer NE CC.2005.44 E. 2.b. – Besteht ein Arbeitsvertrag, fehlt es aber am Unterordnungsverhältnis, so kann das Arbeitnehmerprivileg nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. BGer 5C.266/2004 E. 1.1. (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 3)

Arbeitsvertrag: Wenn es an einem Subordinationsverhältnis fehlt, liegt kein Arbeitsvertrag, sondern eher ein auftragsähnliches Vertragsverhältnis vor. BGer 5C.266/2004 E. 1.1., E. 1.2., E. 2.2. (mit Verweis auf BGE 125 III 78 E. 4)

Qualifikation: Ob die Parteien ihrer (subjektiven) Ansicht nach in einem Arbeitsverhältnis gestanden sind, ist unter dem Blickwinkel des Konkursprivilegs nicht entscheidend. BGE 128 III 129 E. 1.a/aa (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 2 und E. 3) BGer 5C.266/2004 E. 2.3. – Die Qualifikation der Tätigkeit als selbstständige oder unselbständige Arbeit ist nicht für alle Rechtsgebiete nach den gleichen Kriterien zu beurteilen. BGE 128 III 129 E. 1.a/aa

Unmassgeblichkeit der Bezeichnung: Die Bezeichnung des Arbeitnehmers – etwa als Direktor oder Prokurist – ist nicht massgebend. KGer SZ ZK 2006 74 E. 4.c/bb

Fehlen eines Subordinationsverhältnisses bei Organstellung: Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung die Privilegierung stets abgelehnt, wenn der Tätige (z.B. als Mitglied des Verwaltungsrates) gesetzliche Organstellung hatte BGE 134 III 615 E. 4.3. (Pra 2009 Nr. 44; in Wiedergabe von BGE 118 III 46 E. 2, E. 3), weil es in diesem Fall an der Unterordnung (Weisungsgebundenheit) i.S.v. Art. 321d OR fehlt, an welche das Privileg anknüpft. BGer 5A_461/2009 E. 2.3. (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 2.a., E. 2.c., E. 3.b.; BGer 5C.49/1989 E. 3 – recte BGer 5C.94/1989 E. 3) BGer 5A_802/2008 E. 3.1. BGer 5C.83/2005 E. 3.2. BGer 5C.266/2004 E. 1.1., E. 1.2. BGer 5P.341/1999 E. 3c/bb – Die Forderungen gesetzlicher Organe sind in keinem Fall der ersten Klasse zuzuordnen. BGer 5A_461/2009 E. 2.3. – Fehlt ein rechtliches und tatsächliches Subordinationsverhältnis, was dann der Fall ist, wenn der Arbeitnehmer – wie etwa der Direktor einer Aktiengesellschaft oder Genossenschaft – über eine mehr oder weniger grosse Unabhängigkeit und Selbstständigkeit verfügt, so entfällt das Lohnprivileg. BGer 5C.83/2005 E. 3.2. BGer 5P.341/1999 E. 3c/bb (je mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 2a, E. 2c, E. 3a) KGer SZ ZK 2006 74 E. 4.c/bb

Unmassgebliche Aspekte: Bei gesetzlichen Organen kommt nicht darauf an, ob die Person die im Gesetz umschriebene Funktion tatsächlich wahrgenommen hat oder ob sie untätig geblieben ist bzw. als Strohmann bloss die Anordnungen anderer ausführt. BGer 5A_461/2009 E. 2.3. (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 3.b.) BGer 5C.83/2005 E. 3.2. – Auf die (fehlende) Zeichnungsberechtigung eines Organs kommt es nicht an. BGer 5C.83/2005 E. 3.3. Anderseits: Wer unterschreibt, trägt auch die Verantwortung (in Bezug auf einen geschäftsführenden Direktor einer Bank, der Mitglied der Geschäftsleistung und kollektivzeichnungsberechtigt war) KGer SZ ZK 2006 74 E. 4.c/cc

Faktische Organe: Bei faktischen Organen (Geschäftsführern, Direktoren u.ä.) kommt es auf die tatsächliche Stellung an. Ist diese durch grosse Unabhängigkeit und Entscheidungsbefugnisse in Bezug auf das Gesamtunternehmen gekennzeichnet, ist die Forderung unabhängig von der Bezeichnung des Vertragsverhältnisses durch die Parteien nicht privilegiert. BGer 5A_461/2009 E. 2.3. (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 2.a., BGE 52 III 145 E. 4, BGer 5C.49/1989 E. 3, E. 4 – recte BGer 5C.94/1989 E. 3, E. 4) BGer 5P.341/1999 E. 3c/bb

Massgebliche Zeitperiode: Massgeblich für die Frage der Subordination ist die Zeit, während welcher der Gläubiger Lohnforderungen stellt. BGer 5A_461/2009 E. 2.3. BGer 5A_802/2008 E. 3.2.2. vgl. auch BGer 5C.266/2004 E. 2.2. KGer NE CC.2005.44 E. 2.b.

Bei Veränderungen des Subordinationsverhältnisses im Zeitablauf: Die Verhältnisse können sich im Zeitablauf ändern, insbesondere indem eine Person die beherrschende Stellung verliert. BGer 5C.266/2004 E. 2.2. (mit Verweis auf BGE 125 III 78 E. 4) KGer NE CC.2005.44 E. 3 Wenn der Gläubiger ursprünglich bzw. früher Organstellung hatte, er jedoch (beispielsweise nach Aufgabe des Verwaltungsratsmandates) seine Tätigkeit für die Unternehmung als Arbeitnehmer fortsetzt und im Zeitraum, für welchen er Lohnforderungen stellt, tatsächlich ein Unterordnungsverhältnis bestand, so besteht das Privileg (wieder). BGer 5A_461/2009 E. 2.3. BGer 5A_802/2008 E. 3.2.2. BGer 5C.266/2004 E. 2.2. (mit Verweis auf BGE 125 III 78 E. 4)

Bei Freistellung im Besonderen: Lohnforderungen des Arbeitnehmers aufgrund einer Freistellung können ebenfalls das Konkursprivileg geniessen. BGer 5A_802/2008 E. 3.2. Geht es um eine Forderung für die Freistellungszeit, ist massgebend, ob die bis dahin entstandenen Forderungen privilegiert (gewesen) wären oder nicht, weil der auf die Freistellungszeit entfallene (Lohn-)Anspruch seine Grundlage im bisherigen Arbeitsverhältnis hat und weder Kündigung noch Freistellung das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien auf eine neue Basis stellen. BGer 5A_461/2009 E. 2.3. BGer 5C.266/2004 E. 2.3. Entscheidend ist, ob die in der massgeblichen Zeit entstandenen oder fällig gewordenen Forderungen von einem Arbeitnehmer i.S.v. Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. a SchKG geltend gemacht werden. BGer 5A_802/2008 E. 3.2. KGer NE CC.2005.44 E. 2.b.

Bei Freistellung und gleichzeitigem Wegfall der Organstellung: Wenn hingegen (in casu nur zwei Wochen vor der Bilanzdeponierung) das Vertragsverhältnis nicht weitergeführt wird, sondern der Person unter sofortiger Freistellung (ordentlich) gekündigt wird, so ändert sich am vormaligen auftragsähnlichen Vertragsverhältnis nichts und es besteht kein Arbeitnehmerprivileg. BGer 5C.266/2004 E. 2.3. Der auf die Freistellungszeit entfallende Anspruch desjenigen, der vor seiner Abberufung bzw. Kündigung und Freistellung gesetzliche Organstellung innehatte, wird von vornherein vom Arbeitnehmerprivileg ausgeschlossen. BGer 5A_461/2009 E. 2.3. BGer 5C.266/2004 E. 2.3.

Bei wirtschaftlicher Beherrschung des Arbeitgebers (juristischer Person): Im Fall eines Organs, welches die juristische Person (Arbeitgeber) wirtschaftlich beherrscht, kann es an dem für das Konkursprivileg notwendige Unterordnungsverhältnis fehlen, obgleich die Parteien der Meinung sind, einen Arbeitsvertrag geschlossen zu haben. BGE 128 III 129 E. 1.a/aa (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 2 und E. 3)

Wirtschaftliche Identität: Wenn eine Person (einzelzeichnungsberechtigter, einziger Verwaltungsrat) Alleinaktionär der Muttergesellschaft ist, dann besteht wirtschaftliche Identität. Es fehlt an einem Unterordnungsverhältnis. Es liegt kein Arbeitsvertrag vor und der Person seht kein Konkursprivileg zu. BGer 5C.266/2004 E. 1.2. (mit Verweis auf BGE 125 III 78 E. 4)

Unmassgeblichkeit von (geringem) Aktienbesitz: Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer Aktien besitzt, steht als solcher dem Privileg nicht entgegen. (Andeutung, dass bei Beherrschung durch Aktienbesitz das Arbeitnehmerprivileg entfallen könnte) BGer 5A_802/2008 E. 3.2.3. (mit Verweis auf BGE 118 III 46 E. 3.a)

Sonstige massgebliche Beeinflussung der Willensbindung des Arbeitgebers: Mangels tatsächlicher Anhaltspunkte hat das Bundesgericht offengelassen, ob eine Person über andere (vertragliche oder familiäre) Beziehungen zu Mitgliedern des Verwaltungsrates oder zu (anderen) Geschäftsführern derart Einfluss nehmen konnte, um die Willensbildung der Gesellschaft (weiterhin) massgeblich zu beeinflussen. (Andeutung, dass bei Beherrschung durch Aktienbesitz das Arbeitnehmerprivileg entfallen könnte) BGer 5A_802/2008 E. 3.2.3.

Angleichung der Regelung für Insolvenzentschädigung: Gemäss Art. 51 Abs. 2 AVIG haben keinen Anspruch auf Insolvenzentschädigung Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligter oder als Mitglied eines der obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmt oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten. – Art. 51 Abs. 2 AVIG bezweckt eine Angleichung an Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. a SchKG. Beide Bestimmungen sollen Personen schützen, die aufgrund ihrer Stellung keine Einsicht in die Geschäftsbücher haben und daher von der Insolvenz der Arbeitgeberin überrascht werden. (Verneinung der Anspruchsberechtigung, da die betreffende Person im Besitz sämtlicher Geschäftsakten war). SozVGer ZH AL.2002.01183 E. 3.4. GVP ZG 2004 125 ff. E. 2.2. Mit Art. 51 Abs. 2 AVIG wird eine materielle Harmonisierung mit den Bestimmungen (über die Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung [Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG]) sowie des Schuldbetreibungsrechts herbeigeführt. Unter den von der Insolvenzentschädigung ausgeschlossenen Personenkreis fällt, wer kumulativ eine arbeitgeberähnliche Funktion im Betrieb ausübt und eine massgebliche Einflussmöglichkeit auf die Willensbildung des Betriebs hat. Ob von dieser Einflussmöglichkeit tatsächlich Gebrauch gemacht wird, ist irrelevant. GVP ZG 2004 125 ff. E. 2.2. – In der Regel wird das Mass der Entscheidungsbefugnis nicht ausschliesslich nach formalen Kriterien, sondern vor allem anhand der konkreten Gegebenheiten ermittelt. Eine Ausnahme wird jedoch bei mitarbeitenden Verwaltungsräten und Geschäftsführern einer GmbH gemacht, welche kraft ihrer Organstellung automatisch von der Insolvenzentschädigung ausgeschlossen sind. GVP ZG 2004 125 ff. E. 2.2.

Kasuistik

Leitungsstellung bejaht/Privileg verneint

Leitungsstellung verneint/Privileg bejaht

  • (Co-)Geschäftsführer, welcher über Aktien der Arbeitgeberin verfügte und (vor der relevanten Periode) aus dem Verwaltungsrat ausgeschieden war BGer 5A_802/2008 E. 3.

Art der Forderung

Lohnforderungen: BGE 130 III 380 E. 3. BGer 5A_802/2008 Sachverhalt A.b. BGer 5C.83/2005 Sachverhalt B BGer 5C.266/2004 Sachverhalt B, E. 1 BGer 5C.155/2000 E. 1, E. 3, E. 4. AB TI 14.2017.41 E. 4 EGV SZ 2009 Nr. A 6.6 E. 5 KGer NE CC.2005.44 Sachverhalt A GVP AR 2001 Nr. 3389 S. 106 f.

Lohnforderungen während der Freistellungszeit: BGer 5A_461/2009 E. 2.3.

Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung (Art. 336a OR): Die gemäss Art. 336a OR bei missbräuchlicher Kündigung geschuldete Entschädigung ist eine solche sui generis; es handelt sich um eine Sanktion des Zivilrechts, welche eine pönalisierende und eine entschädigende Funktion hat. BGer Sion TDSIO C1 16 27 E. III. 1.3. BGer Sion TDSIO C1 13 50 E. III.3. (je mit Verweis auf BGE 123 III 391, BGE 119 II 157) Es handelt sich nicht um einen klassischen Schadenersatz, da kein Vermögensnachteil erforderlich ist. BGer Sion TDSIO C1 16 27 E. III. 1.3. BGer Sion TDSIO C1 13 50 E. III.3. (je mit Verweis auf BGE 123 III 391, BGer 4C.370/2006 E. 3.1.1.) Wie einem Anspruch aus Arbeitsvertrag kommt auch der Entschädigung das Privileg gemäss Art. 219 SchKG zu. BGer Sion TDSIO C1 16 27 E. III. 1.3. BGer Sion TDSIO C1 13 50 E. III.3.

Entschädigung für nicht bezogene Ferien: Der Abgeltungsanspruch für nicht bezogene Ferien ist in der erste Klasse privilegiert BGE 131 III 451 E. 2.2. BGer 5C.239/2004 E. 2.2., sofern er innerhalt der relevanten Zeitperiode entstanden bzw. fällig geworden ist. Verweis: zum Entstehungszeitpunkt vgl.

Kein Privileg für Forderungen, die nicht aus dem Arbeitsverhältnis stammen: Das Gesetz privilegiert in lit. a „Forderungen von Arbeitnehmern aus dem Arbeitsverhältnis“. Darlehensforderungen sind dagegen nicht privilegiert. AppGer TI 12.2006.48 E. 10

Handgeld eines Fussballspielers: Ein Handgeld ist ein Vertragsabschlussbonus, der einem Fussballspieler den Wechseln von einen Fussballverein zum nächsten versüssen soll. AGer ZH AN050960 E. IV.2.2. (CaS 2007 464 ff.) – Das Handgeld ist keine Forderung, welche i.S.v. Art. 128 Ziff. 3 OR auf der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers beruht. AGer ZH AN050960 E. IV.2.11. (Cas 2007 464 ff.) Das Konkursamt kollozierte diese Forderung im Konkurs in der dritten Klasse. AGer ZH AN050960 E. IV.2.8. (Cas 2007 464 ff.)

Befristung/relevanter Zeitraum

Revision: Per 1. Januar 2005 ist eine Änderung in Kraft getreten. AS 2004 4031 Verweis: zum Übergangsrecht vgl. oben). Das Gesetz knüpft seither für die Rückwärtsfrist alternativ zur Entstehung an die Fälligkeit des Anspruchs an.

Rechtsprechung vor der Revision: Diejenigen Gerichtsentscheide, wonach es in Bezug auf die Sechsmonatsfrist auf die Entstehung der Forderung und nicht auf deren Fälligkeit ankomme BGE 131 III 451 E. 2.1. BGer 5C.239/2004 E. 2.1. BGer 5C.155/2000 E. 4.c. AppGer TI 12.2006.48 E. 9, ergingen noch vor der per 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetzesrevision, weshalb diese Entscheide nicht mehr einschlägig sind.

Rückwärtsfrist: Bei der Sechsmonatsfrist handelt es sich um ein Rückwärtsfrist. CdJ GE ACJC/342/2017 E. 2.1.

Fristbeginn bei Konkurseröffnung: Bei der Konkurseröffnung ist für den Beginn der Rückwärtsfrist der Zeitpunkt massgeblich, für welchen der Konkurs von Gericht gemäss Art. 175 SchKG erkannt wird. CdJ GE ACJC/342/2017 E. 2.1.

Der Konkurseröffnung gleichgestellte Insolvenzereignisse: In der Betreibung auf Pfändung ist – sofern mangels genügendem Verwertungssubstrat ein Kollokationsplan erstellt werden muss – der Zeitpunkt massgeblich, da das Fortsetzungsbegehren gestellt worden ist (Art. 146 Abs. 2 SchKG).

Kommentar 1: Der Konkurseröffnung ist die Bestätigung eines Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung gleichgestellt und zwar auch dann, wenn es sich einen solchen mit nur teilweiser Vermögensabtretung handelt.

Wird eine Gesellschaft zufolge eines Organisationsmangels (Art. 731b, Art. 819, Art. 908 OR) als ultima ratio in Liquidation versetzt, so geschieht dies zwar durch den Zivilrichter und gestützt auf das Privatrecht (Art. 731b Abs. 1bis Ziff. 3 OR), so dass keine Konkurseröffnung im technischen Sinn vorliegt. Da die Liquidation jedoch nach den Vorschriften über den Konkurs stattfindet (Art. 731b Abs. 1bis Ziff. 3 OR), liegt funktional eine Konkurseröffnung vor. Massgeblich für den Fristenlauf ist deshalb die Vollstreckbarkeit des Auflösungsentscheids. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen dieses Konkursverfahrens eine Überschuldung festgestellt wird, und deshalb nachträglich (auch noch) durch den Konkursrichter der Konkurs eröffnet muss (Art. 731b Abs. 4 OR). Damit wird kein neues Konkursverfahren ausgelöst (was nur schon aufgrund von Art. 55 SchKG unzulässig wäre), sondern das bisherige (zufolge Organisationsmangel ausgelöste) Verfahren wird (nun auch) als «normales» Konkursverfahren fortgeführt (vgl. Wüthrich, ZZZ 2022, 39 ff.). Massgeblich für den Fristenlauf bleibt deshalb auch in diesem Fall die Vollstreckbarkeit des Auflösungsentscheids.

Besteht keine Aussicht auf Sanierung oder ist diese gescheitert, so entzieht die FINMA einer Bank die Bewilligung und ordnet die Konkursliquidation an (Art. 33 Abs. 1 BankG). Diese Sonderregelung gilt auch für Unternehmen, die unerlaubt einer bewilligungspflichtigen (Banken-)Tätigkeit nachgehen (BGE 131 II 306 E. 4.1.2.). Da die Anordnung der FINMA wie eine Konkurseröffnung wirkt (Art. 34 Abs. 1 und 2 BankG; BGE 131 II 306 E. 4.1.1.), steht Erste der Letzteren gleich.

Dagegen wird die Rückwärtsfrist nicht ausgelöst durch einen (altrechtlichen) Konkursaufschub (Art. 725a aOR; der Konkursaufschub wurde per 1. Januar 2023 abgeschafft), eine Nachlassstundung oder den Abschluss eines ordentlichen Nachlassvertrages. Verweis: zur Fristverlängerung in diesen Fällen vgl. zu Art. 219 Abs. 5. Gemäss BGer 5C.155/2000 E. 4.a. soll die Bewilligung der Nachlassstundung der Konkurseröffnung gleichstehen. Dieser Entscheid erging jedoch noch zur Rechtslage vor der SchKG-Revision von 1997 und ist deshalb nicht mehr einschlägig. Im Ergebnis kommt es jedoch auf das Gleiche heraus, da die Dauer eines vorangegangenen Nachlassverfahrens für die Fristberechnung nicht mitberechnet wird (Art. 219 Abs. 5 Ziff. 1 SchKG).

Entstehung und Fälligkeit: Es ist zu unterscheiden zwischen dem Zeitpunkt, in dem die Forderung entstanden ist, und demjenigen, in dem sie fällig geworden ist. BGE 131 III 451 E. 2.1. BGer 5C.239/2004 E. 2.1. BGer 5C.155/2000 E. 4.c. Die Entstehung einer Forderung ist nicht mit deren Fälligkeit gleichzusetzen. BGer 5C.155/2000 E. 4.c. (mit Verweis auf BGE 90 III 109 E. 1.a.) Dieses Verständnis entspricht der Rechtsordnung, die klar die Entstehung der Forderung (Art. 1 ff. OR) von ihre Fälligkeit abgrenzt (Art. 75 ff. OR). BGer 5C.155/2000 E. 4.c.

Kommentar 2: Seit der Revision per 1. Januar 2005 knüpft der Beginn der Rückwärtsfrist alternativ an die Entstehung oder Fälligkeit der Forderung an. Verweis: vgl. oben Damit sind die Gerichtsentscheide, welche zur früheren Gesetzesfassung ergangen sind, in Bezug auf den relevanten Zeitpunkt (Massgeblichkeit nur der Entstehung, nicht aber der Fälligkeit der Forderung) nicht mehr einschlägig.

Fälligkeit der Lohnforderung: Die Lohnforderung wird am Ende eines jeden Monats fällig (Art. 323 OR). CdJ GE ACJC/1484/2019 E. 2.4.  AB GE MDCSO/472/2007 E. 3.b.

Fälligkeit: Sämtliche Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis werden bei Ende des Vertrages fällig (Art. 339 Abs. 1 OR). Diese Bestimmung ist absolut zwingend (Art. 361 Abs. 1 OR). CdJ GE ACJC/342/2017 E. 2.2. – Verhandlungen über den Erwerb der Aktien der Arbeitgeberin haben keinerlei Einfluss auf den Zeitpunkt der Fälligkeit; auch dann nicht, wenn sich der Gläubiger verpflichtet, während der Dauer der Verhandlungen für seine Forderungen keine Zahlung zu verlangen. CdJ GE ACJC/342/2017 E. 2.3.

Entstehung des Anspruchs auf einen 13. Monatslohn: Der 13. Monatslohn entsteht Monat für Monat anteilmässig. BGer 5C.155/2000 E. 3, E. 4.d.

Entstehung des Abgeltungsanspruchs des Arbeitnehmers für nicht bezogene Ferien: Der Anspruch auf Ferien besteht aus einen einheitlichen Anspruch auf Gewährung von Freizeit unter Fortzahlung des Lohnes während dieser Zeit (Art. 329a i.V.m. Art. 329d Abs. 1 OR). Der Ferienanspruch entsteht pro rata temporis entsprechend der Beschäftigungsdauer (Art. 329a Abs. 3 OR). Nach der absolut zwingenden Vorschrift von Art. 329d Abs. 2 OR darf der Ferienanspruch während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden. BGE 131 III 451 E. 2.2. BGE 129 III 493 E. 3.1. BGer 5C.239/2004 E. 2.1. Eine Abgeltung von Ferienansprüchen ist grundsätzlich nur zulässig, wenn deren Bezug in natura bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist. BGE 131 III 451 E. 2.2. BGE 128 III 271 E. 4a/aa BGer 5A_802/2008 E. 3.3. BGer 5C.239/2004 E. 2.1. (je mit Verweis auf BGE 106 III 152 E. 2, BGE 128 III 271 E. 4a/aa). Ein Entschädigungsanspruch für nicht bezogene Ferien kann damit erst entstehen, wenn diese nicht mehr in natura gewährt werden können. BGer 5A_802/2008 E. 3.3. Erst in diesem Zeitpunkt steht fest, ob dem Arbeitnehmer überhaupt ein Abgeltungsanspruch zusteht, und der Anspruch auf Bezug von Ferien wird dann durch eine reine Geldforderung ersetzt. BGE 131 III 451 E. 2.2. BGer 5A_802/2008 E. 3.3.2. BGer 5C.239/2004 E. 2.2. Ist der Abgeltungsanspruch in der relevanten Zeitperiode entstanden oder fällig geworden, so ist er in der ersten Klasse privilegiert. Verweis: vgl. oben

Höchstbetrag

Gemäss obligatorischer Unfallversicherung maximal versicherter Jahresverdienst: Seit 1. Januar 2016 (AS 2014 4213) liegt dieser Höchstbetrag gemäss Art. 22 Abs. 1 UVV bei CHF 148‘200.

Kollokation der Bruttoforderung

Behandlung der Sozialabzüge und der Quellensteuer: Konkursdividenden auf Forderungen des Arbeitnehmers unter liegen der paritätischen AHV/IV/EO-Beitragspflicht. EGV SZ 2009 Nr. A 6.6 E. 5 (mit Verweis auf BGE 102 V 156 ff.) Es ist deshalb grundsätzlich der Bruttolohn zu kollozieren. Vor Ausrichtung der Konkursdividende den an den Arbeitnehmer sind die Sozialversicherungsleistungen und die Quellensteuer abzuziehen und an die betreffenden Amtsstellen abzuführen. EGV SZ 2009 Nr. A 6.6 E. 5

 

lit. abis Rückforderungen von Kautionen

Art. 219 SchKG H. Rangordnung der Gläubiger
4[…]
Erste Klasse
abis. Die Rückforderungen von Arbeitnehmern betreffend Kautionen.

Gesetzesänderungen/Übergangsrecht

Per 1. Dezember 2010 ist eine Änderung in Kraft getreten. AS 2010 4922 Die Erstklassforderungen der Arbeitnehmer wurden in drei Buchstaben aufgeteilt (lit. a, abis und ater) – Verweis: zum Übergangsrecht vgl. zu Allgemeines

Abgrenzung

Abgrenzung Forderung aus dem Arbeitsverhältnis vs. Kaution: Nach M. Rehbinder ist zu unterscheiden zwischen einer Kaution nach Art. 330 OR, die aus dem übrigen Vermögen des Arbeitnehmers ausgeschieden wird, und dem Lohnrückbehalt, der aus Teilen des fälligen Lohnes gebildet wird (Komm N 2 zu Art. 330 OR). Dem in Art. 219 Abs. 4 [Erste Klasse] lit. a aSchKG verwendeten Begriff der Kaution ist diese Auffassung zugrunde zu legen. Der Grund, weshalb der Arbeitgeber einen Teil seiner Lohnschuld nicht begleicht, ob wegen fehlender Liquidität oder weil er sich dafür etwa auf ein vermeintliches Recht oder auf Verrechnung wegen Schädigung durch den Arbeitnehmer beruft, ist unerheblich. Der Ausstand betrifft in jedem Fall Arbeitslohn, und für diesen gilt nach Art. 219 Abs. 4 SchKG, dass er nur soweit das Privileg der Kollozierung in der ersten Klasse geniesst, als er den Zeitraum von sechs Monaten vor der Konkurseröffnung betrifft. GVP AR 2001 Nr. 3389 S. 106 f.

Kommentar 3: Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Lohnrückbehalte sind gerade keine Kautionen, weshalb Erstere unter lit. a fallen, so dass die zeitliche (sechs Monate vor der Insolvenz entstanden oder fällig geworden) und betragsmässige Einschränkung gilt. Dem gegenüber gelten für Kautionen i.S.v. Art. 330 OR weder die zeitlichen noch die betragsmässigen Restriktionen.

 

lit. ater Sozialplanforderungen

Art. 219 SchKG H. Rangordnung der Gläubiger
4[…]
Erste Klasse
ater. Die Forderungen von Arbeitnehmern aus Sozialplänen, die nicht früher als sechs Monate vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind.

Gesetzesänderungen/Übergangsrecht

Per 1. Dezember 2010 ist eine Änderung in Kraft getreten. AS 2010 4922 Die Erstklassforderungen der Arbeitnehmer wurden in drei Buchstaben aufgeteilt (lit. a, abis und ater) – Verweis: zum Übergangsrecht vgl. zu Allgemeines

Forderungen aus Sozialplänen

[soweit ersichtlich ergingen zu dieser Gesetzesbestimmung seit 2000 keine Entscheide]

Befristung/relevanter Zeitraum

Verweis: zur Rückwärtsfrist und zu den (nebst der Konkurseröffnung) anderen fristauslösenden Ereignisse vgl. oben

 

lit. b Ansprüche der Versicherten nach UVG

Art. 219 SchKG H. Rangordnung der Gläubiger
4[…]
Erste Klasse
b. Die Ansprüche der Versicherten nach dem Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung […].

Gesetzesänderungen/Übergangsrecht

Diese Gesetzesbestimmung hat seit 1. Januar 1997 keine Änderung erfahren.

Ansprüche der Versicherten nach UVG

[soweit ersichtlich ergingen ansonsten zu dieser Gesetzesbestimmung seit 2000 keine Entscheide]

 

lit. b Ansprüche der Versicherten aus der nicht obligatorischen beruflichen Vorsorge

Art. 219 SchKG H. Rangordnung der Gläubiger
4[…]
Erste Klasse
b. Die Ansprüche der Versicherten […] aus der nicht obligatorischen beruflichen Vorsorge […] 

Gesetzesänderungen/Übergangsrecht

Diese Gesetzesbestimmung hat seit 1. Januar 1997 keine Änderung erfahren.

Ansprüche aus der nicht obligatorischen beruflichen Vorsorge

Keine Beschränkung auf überobligatorische Ansprüche: Die geäufneten Beträge, welche die Deckungsgrenze nach Art. 56 Abs. 2 BVG überscheiten (überobligatorische Ansprüche), sind nicht durch den Sicherheitsfonds sichergestellt. Sie stellen jedoch Erstklassforderungen nach Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. b SchKG dar. BGE 132 V 127 E. 6.4.2. – Der Gesetzeswortlaut stimmt in allen drei Landesprachen überein. Triftige Gründe für eine Auslegung gegen den klarten Wortlaut, die Ausnahmecharakter hat, bestehen nicht. BGer 2A.408/2000//2A.409/2000 E. 3c/cc Es lässt es sich nicht rechtfertigen, das Konkursprivileg auf überobligatorischen Ansprüche zu beschränken (und auf diese Weise die von der Solidargemeinschaft aller Versicherten zu tragenden Ausfälle zu erhöhen). BGer 2A.408/2000//2A.409/2000 E. 3c/cc Es wird nicht zwischen Ansprüchen unterschieden, die durch den Sicherheitsfonds sichergestellt sind, und solchen, die den Insolvenzschutz nicht geniessen („überobligatorische Ansprüche“). Das Gesetz zieht die Grenze vielmehr zwischen Ansprüchen aus der gesetzlichen Vorsorge und jenen aus der weitergehenden, nicht obligatorischen Vorsorge. BGer 2A.408/2000//2A.409/2000 E. 3b

Auslegung unter Berücksichtigung der Revision 2001 betreffend Privilegien zweiter Klasse: Mit der Wiedereinführung des Konkursprivilegs zweiter Klasse für Beiträge der Sozialversicherungen ist der Gesetzgeber zudem von der Leitidee, dass ausschliesslich individuelle Schutzbedürfnisse in ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnissen privilegiert werden sollten (BBl 1991 III 129), wieder abgerückt. Er hat nicht nur die besondere Schutzbedürftigkeit der Sozialversicherung anerkannt (BBl 1999 9217), sondern auch in den Blick genommen, dass die Einnahmeausfälle indirekt letztlich von den Versicherten getragen werden müssen (BBl 1999 9128, 9130; AB 1999 N 2432). Umso weniger lässt es sich rechtfertigen, das Konkursprivileg auf überobligatorischen Ansprüche zu beschränken und auf diese Weise die von der Solidargemeinschaft aller Versicherten zu tragenden Ausfälle zu erhöhen. BGer 2A_408/2000//2A.409/2000 E. 3c/cc

Vgl. auch SozVerGer BS BV.2021.15 E. 3.5

 

lit. b Forderungen von Personalvorsorgeeinrichtungen gegenüber dem angeschlossenen Arbeitgeber

Art. 219 SchKG H. Rangordnung der Gläubiger
4[…]
Erste Klasse
b. Die […] Forderungen von Personalvorsorgeeinrichtungen gegenüber den angeschlossenen Arbeitgebern. 

Gesetzesänderungen/Übergangsrecht

Diese Gesetzesbestimmung hat seit 1. Januar 1997 keine Änderung erfahren.

Entstehungsgeschichte

Überblick: vgl. BGE 135 III 171 E. 4.1.

Bundesrätlicher Entwurf: Dieser sah in Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. b SchKG ein Privileg vor für die Ansprüche der Versicherten aus der nicht obligatorischen beruflichen Vorsorge und für die Beitragsforderungen der Vorsorgeeinrichtungen, soweit sie nicht durch den Sicherheitsfonds gemäss dem Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge gedeckt sind, d.h. im nichtobligatorischen Bereich (BBl 1991 III 254). Dieser Vorschlag beruht auf dem Bestreben, im Interesse der Gleichbehandlung der Gläubiger die vorrangige Befriedigung auf das „wirklich Notwendige“ zu beschränken. Privilegiert bleiben sollten nur Forderungen wegen eines „spezifischen individuellen Schutzbedürfnisses“ in „ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnissen“, wie solche von Arbeitnehmern, Rentnern und Kindern (BBl 1991 III 128 f.). So wurde die Regelung im Entwurf von Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. b SchKG mit der engen Verknüpfung von Arbeitsverhältnis und beruflicher Vorsorge begründet (BBl 1991 III 129).

Parlamentarische Beratungen: Ein Vorstoss in der nationalrätlichen Kommission führte zur Privilegierung sämtlicher Forderungen der Vorsorgeeinrichtungen im Konkurs des Arbeitgebers. Diese Änderung wurde mit der drohenden Schlechterstellung der Arbeitnehmer bei ausstehenden Forderungen ihrer Vorsorgeeinrichtung begründet (Protokoll der Sitzung der Kommission des Nationalrates vom 22./23. April 1992, S. 23). Arbeitgeber in wirtschaftlichen Schwierigkeiten investierten oft bis zur Maximalgrenze Gelder der Vorsorgeeinrichtung in ihren Betrieb. Forderungen der Vorsorgeeinrichtungen sollten daher tel quel privilegiert sein (Protokoll der Sitzung der Kommission des Nationalrates vom 16./17. November 1992, S. 57). In den parlamentarischen Beratungen wurde hervorgehoben, es könne nicht angehen, dass die Arbeitnehmer im Konkurs des Arbeitgebers über die Nichtprivilegierung der Forderungen der Personalvorsorgeeinrichtungen auch noch bezüglich ihrer Pensionskassenansprüche zu Schaden kämen (Votum Nationalrat Rechsteiner, AB 1993 N 36).

Kreis der privilegierten Forderungen

Auslegung/Gesetzeswortlaut: Der Gesetzeswortlaut stimmt in allen drei Landesprachen überein. Er ist insoweit klar, als dass das Gesetz weder vorschreibt, dass es sich um Forderungen aus dem Vorsorgeverhältnis handeln muss, noch Forderungen aus bestimmtem Entstehungsgrund von vorherein ausschliesst. Dass nur Forderungen „gegenüber den angeschlossenen Arbeitgebern“ privilegiert sind, qualifiziert nicht die Forderungen, sondern schränkt den Kreis der Schuldner ein, in deren Insolvenz die Forderungen der Personalvorsorgeeinrichtungen in der ersten Klasse zu kollozieren sind. Das Gesetz grenzt die Forderungen gegenüber dem angeschlossenen Arbeitgeber von jenen gegenüber irgendwelchen Arbeitgebern ab und privilegiert erstere schlechthin und ungeachtet ihrer rechtlichen Grundlage. BGE 129 III 468 E. 2.

Auslegung/Entstehungsgeschichte: vgl. BGE 129 III 468 E. 3.1. bis E. 3.4. BGE 129 III 476 E. 1.2/E. 1.3. Die Entstehungsgeschichte verdeutlicht, dass der Gesetzgeber das vormalige Privileg zweiter Klasse für die Forderungen von Wohlfahrtsfonds im bisherigen Umfang neu als Privileg erster Klasse für die Forderungen der Personalvorsorgeeinrichtungen weitergelten lassen wollte und sich dabei ausdrücklich gegen eine Einschränkung des Konkursprivilegs auf Beitragsforderungen entschieden hat, wie dies noch im bundesrätlichen Entwurf vorgesehen war. Diese bewusste Wertenscheidung des Gesetzgebers für die eine von zwei diskutierten Regelungsmöglichkeiten schliesst eine einschränkende Auslegung des klaren Gesetzeswortlauts von vornherein aus. BGE 135 III 171 E. 4.2. BGE 129 III 468 E. 3.5. Aus den Beratungen in der nationalrätlichen Kommission sowie im Parlament ergibt sich klar, dass eine Ausdehnung des Konkursprivilegs gewollt war und ein solches einzig im Rechtsverhältnis von Personalvorsorgeeinrichtungen und angeschlossenen Arbeitgebern begründet ist. BGE 135 III 171 E. 4.3.

Umfassende Privilegierung: Das Konkursprivileg erster Klasse geniessen alle Forderungen von Personalvorsorgeeinrichtungen gegenüber den angeschlossenen Arbeitgebern, unabhängig von ihrer rechtlichen Grundlage. BGE 129 III 468 E. 3.5. Das Erstklassprivileg der Personalvorsorgeeinrichtungen auf die Beitragsforderungen zu beschränken, widerspricht klar dem Gesetz. BGE 135 III 171 E. 4.3. vgl. auch RBOG TG 2002 Nr. 21 (vorinstanzlicher Entscheid zu BGE 129 III 468) contra: Es wäre systemwidrig, wenn sich das Privileg der Vorsorgeeinrichtung auf alle Forderungen gegen einen konkursiten Arbeitgeber ungeachtet ihres Rechtsgrundes erstrecken soll. Dies läuft auch der grundsätzlichen und geforderten Gleichbehandlung der Gläubiger im Konkurs und damit der Intention des Gesetzgebers klar zuwider. So ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Privileg der Vorsorgeeinrichtungen einerseits auf alle Forderungen unabhängig ihres Rechtsgrundes ausgedehnt werden soll, im Gegenzug hingegen diese Privilegierung im Sinne einer markanten Einschränkung nur gegen den angeschlossenen (in Konkurs geratenen) Arbeitgeber gelten soll. In casu wurde eine Kontokorrentforderung als Drittklassforderung kolloziert. ZR 2001 Nr. 35 E. IV.3./E. IV.4

Bei derivativem Erwerb: Sind Forderungen von Personalvorsorgeeinrichtungen gegenüber einem angeschlossenen Arbeitgeber privilegiert, kann es nicht massgeblich sein, ob der Gläubiger mit dem Schuldner direkt kontrahiert oder ob er die Forderung erst später erworben hat. Aufgrund dessen war in casu eine Anleihensobligation, welche zunächst von einem Bankenkonsortium im Rahmen einer Fremdemission fest übernommen und anschliessend im Markt platziert wurde, in Bezug auf Titel, welche von der Personalvorsorgeeinrichtung erworben worden waren, privilegiert. BGE 135 III 171 E. 5.contra: Anleihensobligationen wurden von einem Bankenkonsortium fest übernommen. Weder der Emittent noch die übernehmenden Banken waren oder sind Vorsorgeeinrichtungen. Es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern die aus den Anleihensobligationen entstehenden Forderungen mit einem Konkursprivileg ausgestattet sein könnten. OGer ZH NF070004 E. III.4. (vorinstanzlicher Entscheid zu BGE 135 III 171 in welchem anders entschieden wurde; Verweis: vgl. unmittelbar vorstehend im Text) Dass in einem Wertpapier (in casu Anleihensobligationen) verbrieften Forderungen ein Konkursprivileg anhaften bzw. zukommen soll, lässt sich den Materialien und den Voten im Parlament nicht entnehmen. Die konkursrechtliche Privilegierung einer Anlage der Vorsorgeeinrichtung beim Arbeitgeber widerspräche auch ohne sachlicher Begründung der Nichtprivilegierung sämtlicher übriger Vermögensanlagen von Vorsorgeeinrichtungen bei anderen Gesellschaften als dem Arbeitgeber. Eine sachliche Rechtfertigung einer ungleichen Behandlung von Vermögensanlagen einer Vorsorgestiftung im Konkurs je nach Person des Schuldners lässt sich sozialpolitisch, d.h. im Interessen und zum Schutz der Arbeitnehmer, nicht begründen. Den Interessen der versicherten Arbeitnehmer tragen die Normen des BVV 2 ausreichend Rechnung, namentlich auch die Bestimmungen betreffend Anlagen beim Arbeitgeber (Art. 57 BVV 2). OGer ZH NF070004 E. III.5.c. (vorinstanzlicher Entscheid zu BGE 135 III 171, in welchem anders entschieden wurde; Verweis: vgl. unmittelbar vorstehend im Text)

Kommentar 4: Die Sichtweise des Bundesgerichts widerspricht, was Wertpapiere bzw. Forderungen bei derivativem Erwerb durch eine Vorsorgeeinrichtung angeht, klar dem (auch vom Bundesgericht anerkannten) Grundsatz, dass die Forderung und nicht der Gläubiger privilegiert ist (vgl. zu Allgemeines). Mit Entstehung der Forderung entsteht ex lege auch das Privileg, welches ein Vorzugsrecht der Forderung darstellt (vgl. zu Allgemeines. Bei einer Übertragung der Forderung kann weder ein originär bestehendes Privileg untergehen (vgl. zu Allgemeines) noch eine originär nicht privilegierte Forderung plötzlich ein Privileg erlangen. Weshalb es sich einzig beim Privileg der Personalvorsorgeeinrichtung gegenüber dem angeschlossenen Arbeitgeber anders verhalten soll, ist nicht einsichtig und systemwidrig. M.E. lässt es sich bestens mit der Entstehungsgeschichte vereinen, das Privileg auf originär bei der Vorsorgeeinrichtung entstehende Forderungen zu beschränken (was schon eine wesentliche Ausweitung gegenüber Beitragsforderungen darstellt).

„Angeschlossener Arbeitgeber“

Auslegung/Gesetzeswortlaut: Dem Gesetz lässt sich nicht unmittelbar entnehmen, was unter „den angeschlossenen Arbeitgebern“ zu verstehen ist. Der Wortlaut stimmt in allen drei Amtssprachen überein. BGE 129 III 476 E. 1.1.

Umfassendes Verständnis des Anschlusses: vgl. BGE 129 III 476 E. 1.2. Die Entstehungsgeschichte verdeutlicht, dass der Gesetzgeber von beruflicher Vorsorge in einem umfassenden Sinn und dabei von einem Anschlussverhältnis ausgegangen ist, wie es in Art. 11 Abs. 1 BVG für die obligatorische Versicherung der Arbeitnehmer geregelt wird. Als Grundsatz kann deshalb gelten, dass ein Arbeitgeber dann „angeschlossen“ im Sinne des Konkursprivilegs ist, wenn seine Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung obligatorisch oder überobligatorisch versichert sind, die er selber errichtet hat oder mit der er einen Anschlussvertrag abgeschlossen hat. BGE 129 III 476 E. 1.4.

Konkludenter Anschluss: Ein „Anschluss“ kann auch stillschweigend, insbesondere konkludent erfolgen. BGE 129 III 476 E. 1.4.

Kein „Anschluss“: Ein Anschluss ergibt sich nicht bereits daraus, dass Gesellschaften zum gleichen Konzern gehören. Das Konkursprivileg bezieht sich nur auf den angeschlossenen Arbeitgeber und nicht auf irgendeine andere Gesellschaft der Konzerngruppe. BGer 5C.269/2002 E. 3.1. (nicht abgedruckt in BGE 129 III 476) Der Umstand, dass eine Gesellschaft in der Bilanz bzw. im Bilanzanhang eine Darlehensschuld unter den Verbindlichkeiten gegenüber der Vorsorgeeinrichtung aufführt, begründet kein Anschlussverhältnis. BGer 5C.269/2002 E. 4. (nicht abgedruckt in BGE 129 III 476)

Beschränkung der Anlagen beim Arbeitgeber (Art. 57 Abs. 2 BVV 2)

Schlechte Deckung im Konkurs trotz Erstklassprivileg: Die gesetzliche Limite für ungesicherte Anlagen beim Arbeitgeber wurde per 1. Januar 2006 von 20% auf 5% gesenkt (Änderung von Art. 57 Abs. 2 BVV 2). Diese Senkung der Anlagebeschränkung erfolgte, weil sich in der Praxis erwiesen hat, dass Anlagen bei der Stifterfirma problematisch sind, da sie bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers oft neu eingegangen oder erhöht werden und bei nachfolgendem Konkurs des Arbeitgebers trotz Konkursprivileg der 1. Klasse gar nicht oder nicht mehr voll gedeckt sind. BGE 138 V 502 E. 6.3. BVGer C-3208/2011 E. 6.1.3. Verweis: zur tatsächlichen Deckung von Erstklassforderungen in der Praxis vgl. zu Dividende

 

lit. c Unterhalts- und Unterstützungsansprüche

Art. 219 SchKG H. Rangordnung der Gläubiger
4[…]
Erste Klasse
c. Die familienrechtlichen Unterhalts- und Unterstützungsansprüche sowie die Unterhaltsbeiträge nach dem Partnerschaftsgesetz vom 18. Juni 2004, die in den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung entstanden und durch Geldzahlungen zu erfüllen sind. 

Gesetzesänderungen/Übergangsrecht

Per 1. Januar 2007 ist eine Änderung in Kraft getreten. AS 2005 5696 Die Revision betraf einzig die Einführung des Erstklassprivilegs für Unterhaltsbeiträge gemäss Partnerschaftsgesetz. – Verweis: zum Übergangsrecht vgl. Allgemeines

Privilegierte Forderungen

Unterhaltsansprüche der Kinder: Privilegiert sind die Unterhaltsansprüche der Kinder gegenüber den Eltern (Art. 276 ff. ZGB). TC VD HC/2020/1499 E. 5.4   AB TI 15.2010.103 E. 5.3. AB TI 15.2005.20 E. 5.1.c. vgl. auch AppGer TI 11.2004.50 E. 5

Familienrechtliche Unterhalts- und Unterstützungsansprüche: In Betracht fallen familienrechtliche Unterhalts- und Unterstützungsansprüche. BGE 129 III 335 E. 5.5.2.

Befristung/relevanter Zeitraum

Verweis: zur Rückwärtsfrist und zu den (nebst der Konkurseröffnung anderen) fristauslösenden Ereignisse vgl. oben